Übereinkunft

 

Jimmy stupste Locklear in die Seite.

Sie trieben sich auf dem Markt herum und versuchten, das wenige Sehenswerte, das es in Armengar gab, zu besichtigen. Jungen in ihrem Alter waren eine Seltenheit, und die wenigen, die sie entdeckten, trugen Waffen und Rüstung. Jimmy interessierte sich am meisten für die Unterschiede zwischen dem hiesigen Markt und dem in Krondor.

»Wir sind schon seit über einer Stunde hier, und ich schwöre, ich habe noch keinen Bettler und keinen Dieb auf dem ganzen Platz gesehen«, meinte Jimmy.

»Logisch«, entgegnete Locklear. »Nach dem, was Amos erzählt hat, ist Vertrauen die Grundlage, auf der die Stadt überhaupt besteht. Keine Diebe, weil hier alle Leute zusammenhalten, und wo wolltest du dich hier auch verstecken? Ich weiß nicht viel über Städte und so, doch dieser Ort kommt mir eher vor wie eine Kaserne, abgesehen vielleicht von der Größe.«

»Da hast du wohl recht.«

»Und es gibt hier womöglich deshalb keine Bettler, weil sie sich um jeden kümmern, so wie bei der Armee.«

»Messe und Krankenstube?«

»Ja«, stimmte Locklear zu.

Sie schlenderten an den Ständen vorbei, und Jimmy schätzte den Wert der ausgestellten Waren ab. »Siehst du vielleicht irgendwelche Luxusgüter?« Locklear machte eine verneinende Geste. An den Ständen wurden Nahrungsmittel, einfache Kleidung und Lederwaren sowie Waffen feilgeboten. Die Preise waren niedrig, und es wurde wenig - wenn überhaupt - gefeilscht.

Nach kurzer Zeit setzte sich Jimmy in den Eingang eines Hauses am Rande des Marktes. »Das ist wirklich langweilig.«

»Ich sehe etwas, das überhaupt nicht langweilig ist.«

»Was?« fragte Jimmy.

»Mädchen.« Locklear zeigte auf sie. Zwei Mädchen hatten sich aus dem Gedränge der Käufer gelöst und begutachteten Waren an einem Stand am Rande des Marktes. Sie schienen ungefähr im Alter der Jungen zu sein. Beide waren ähnlich gekleidet, Lederstiefel, Hosen, Wamse, Westen aus Leder, Gürtel mit Messer und Schwert. Jedes der Mädchen trug ein zusammengerolltes Tuch als Stirnband um dem Kopf, das das schulterlange dunkle Haar aus dem Gesicht zurückhielt. Das größere Mädchen bemerkte, wie Jimmy und Locklear sie beobachteten, und sagte etwas zu seiner Begleiterin. Sie steckten die Köpfe zusammen und flüsterten, während das zweite Mädchen die Jungen ansah. Das erste Mädchen legte die Ware zurück, die es in der Hand gehalten hatte, und beide kamen herüber zu Jimmy und Locklear.

»Also?« fragte die größere und sah die beiden offen an.

Jimmy stand auf und war überrascht, daß das Mädchen fast so groß war wie er. »Also was?« fragte er in gebrochenem Armengarisch zurück.

»Ihr habt uns angestarrt.«

Jimmy sah zu Locklear hinunter, der daraufhin ebenfalls aufstand. »Ist das vielleicht nicht in Ordnung?« fragte der jüngere Junker, der die Sprache besser beherrschte als Jimmy Die beiden Mädchen wechselten einen Blick und lachten, kaum mehr als ein Kichern. »Es ist unverschämt.«

»Wir sind Fremde«, versuchte es Locklear. Die beiden Mädchen lachten jetzt laut. »Das war uns klar. Wir haben von euch gehört. Jeder in Armengar hat von euch gehört.«

Locklear errötete. Man brauchte nur kurz hinzusehen, um zu bemerken, wie sehr er und Jimmy sich in der Erscheinung von allen anderen Leuten hier unterschieden. Das zweite Mädchen betrachtete Locklear aus seinen dunklen Augen und sagte: »Dort wo ihr herkommt, starrt ihr da die Mädchen auch so an?«

Locklear mußte plötzlich grinsen und meinte: »Jedesmal, wenn sich eine Gelegenheit bietet.«

Alle vier lachten. Das größere Mädchen sagte: »Ich heiße Krista; und das ist Bronwynn. Wir dienen in der Zehnten Kompanie. Und bis morgen abend haben wir frei.«

Jimmy wußte nicht, was dieser Hinweis auf die Kompanie bedeuten sollte, doch er sagte: »Ich bin Junker James Jimmy Und das hier ist Junker Locklear.«

»Locky.«

Bronwynn sagte: »Ihr habt dieselben Namen?«

Locklear sagte: »›Junker‹ ist ein Titel. Wir sind in den Diensten des Prinzen.«

Die Mädchen sahen sich fragend an. Krista sagte: »Ihr sprecht von ausländischen Dingen, die wir nicht verstehen.«

Mit einer eleganten Bewegung hakte sich Jimmy bei ihr ein und sagte: »Also dann, warum zeigt ihr uns nicht die Stadt, und wir erklären euch dabei diese ausländischen Sachen.«

Ungeschickt folgte Locklear dem Beispiel seines Freundes, doch es war nicht ganz deutlich, wer zuerst nach wessen Arm griff: er nach Bronwynns oder sie nach seinem.

Mit mädchenhaftem Gekicher nahmen Krista und Bronwynn die Jungen ins Schlepptau und zogen sie durch die Straßen der Stadt.

 

Martin aß schweigend und betrachtete Briana, während er dem Tischgespräch lauschte. Aruthas Truppe - außer Jimmy und Locklear - saß zusammen mit Guy, Amos und Briana um einen großen Tisch herum. Ein weiterer von Guys Kommandanten, Gareth, aß ebenfalls mit ihnen. Die Abwesenheit der Jungen war kein Grund zur Beunruhigung, hatte Amos ihnen versichert, denn es gab in der Stadt keinen Ärger, ohne daß der Protektor nicht sofort davon unterrichtet wurde. Und es gab auch keinen Weg aus der Stadt heraus, selbst nicht für jemanden, der so begabt war wie Jimmy Arutha war sich dessen nicht so sicher wie Amos, verkniff sich jedoch einen Kommentar.

Arutha wußte, er und Guy würden sich schnell verständigen müssen, und er hatte so eine Ahnung, wie das vor sich gehen würde, doch er zögerte mit Vermutungen, bis er nicht mit Guy unter vier Augen gesprochen hatte. Arutha betrachtete den Protektor eingehend. Guy war offensichtlich in Trauer verfallen, und seltsamerweise erinnerte er ihn dabei an seinen Vater, der in ähnlicher Stimmung genauso gewirkt hatte. Guy hatte nur wenig gegessen, doch seit einer Stunde ständig getrunken.

Arutha wandte seine Aufmerksamkeit seinem Bruder zu, der sich seit dem Morgen höchst ungewöhnlich benommen hatte. Martin konnte lange Zeit schweigen, ein Charakterzug, den sie beide teilten, doch seit er Briana kennengelernt hatte, war er fast stumm geworden. Sie war mit Amos in Aruthas Gemächern zum Mittagessen erschienen, und seitdem hatte Martin kaum ein Dutzend Wörter hervorgebracht. Doch jetzt beim Essen, so wie schon am Mittagstisch, sprachen seine Augen Bände, und wenn Arutha es richtig beurteilte, taten Brianas desgleichen. Zumindest beachtete sie Martin mehr als jeden anderen am Tisch.

Guy hatte im Verlauf des Abends wenig gesagt. Wenn ihre Mutter Briana irgendwie ähnlich gewesen war, konnte Arutha begreifen, was Guy für einen Verlust erlitten hatte. Schon wenige Stunden, nachdem er sie kennengelernt hatte, wußte er, sie war eine außergewöhnliche Frau. Er konnte auch verstehen, weshalb Martin sich von ihr angezogen fühlte. Sie war keine große Schönheit, doch so anders sie im Gegensatz zu seiner geliebten Anita auch sein mochte, ihre rauhe Entschlossenheit war ausgesprochen reizvoll. Sie benahm sich ungekünstelt, und Arutha fand, daß etwas in ihrer Art genau zu der seines Bruders paßte. Aruthas Aufmerksamkeit hatte die meiste Zeit den ernsten Gesprächsthemen gegolten, doch manchmal hatte er sich auch köstlich amüsiert; anscheinend war Martin dabei, die Kontrolle über die Dinge zu verlieren.

Der Ablauf des Mahls war für Arutha und Martin ein wenig befremdlich, denn bei Guy oder sonstwo in Armengar gab es keine Diener. Soldaten brachten das Essen aus Höflichkeit in das Quartier des Protektors, doch er bediente sich selbst, und das taten auch seine Gäste. Amos hatte erwähnt, daß er und Armand das Geschirr an den meisten Abenden selbst in die Spülküche zurückbrachten und dort beim Abwasch mit Hand anlegten. Jeder in der Stadt half.

Als das Essen beendet war, meinte Amos: »Ich, Gareth und Armand werden noch eine Runde um die Mauer drehen. Wir sind heute abend vom Küchendienst befreit, damit wir gute Gastgeber sein können. Möchtet Ihr uns vielleicht begleiten?« Es war eine Einladung an alle am Tisch. Roald, Laurie und Baru fragten, ob sie mitkommen dürften; vor allem der Hadati wünschte mehr über seine entfernten Verwandten zu erfahren.

Martin erhob sich und sagte - für ihn fast eine heldenhafte Tat - zu Briana: »Vielleicht würde mir die Kommandantin die Stadt zeigen?« Er schien gleichermaßen begeistert und erschöpft zu sein, als sie zusagte.

Arutha gab ihm ein Zeichen, daß er mit der Frau gehen sollte, und bedeutete ihm gleichzeitig, daß er selbst hierbleiben und sich mit Guy besprechen würde. Martin eilte, geführt von Briana, aus dem Saal.

In dem langen Gang, der zu dem Aufzug führte, blieb Martin stehen und warf einen Blick auf die Lichter der Stadt unter ihnen. Tausend Lichtpunkte leuchteten in der schwarzen Dunkelheit. »Sooft ich hier auch entlangkomme«, meinte Briana, »dieser Anblick verliert nie seinen Reiz.« Martin nickte zustimmend. »Ist deine Heimat wie Armengar?«

Martin sah sie nicht an. »Crydee?« dachte er laut. »Nein. Mit dieser Zitadelle verglichen ist meine Burg winzig, und die Stadt Crydee ist nur ein Zehntel so groß wie diese. Die Stadtmauer ist auch nicht so mächtig, und die Menschen stehen nicht dauernd unter Waffen. Es ist ein friedlicher Ort, zumindest ist er das jetzt. Früher habe ich mich, sooft es ging, davon ferngehalten, blieb in den Wäldern und jagte und war allein mit meinen Gedanken. Manchmal stieg ich in den höchsten Turm meiner Burg und sah mir den Sonnenuntergang über dem Meer an. Das ist die schönste Zeit des Tages. Im Sommer kommt eine kühle Brise vom Wasser herüber und lindert die Hitze des Tages, während die Sonne prächtige Farbenspiele erzeugt. Im Winter sind die Türme weiß bedeckt, und alles wirkt wie ein sagenumwobener Ort. Mächtige Wolken ziehen dann vom Meer landeinwärts, und Blitze und grollender Donner liegen in der Luft, als wäre der Himmel lebendig geworden.« Er bemerkte, wie sie sein Gesicht betrachtete. Plötzlich kam er sich dumm vor und lächelte schwach, das einzige Zeichen seiner Verlegenheit. »Aber ich schweife ab.«

»Amos hat mir viel vom Meer erzählt.« Sie legte den Kopf ein wenig schief, als dächte sie nach. »Eine eigenartige Sache, dieses ganze Wasser.«

Martin lachte kurz und spürte, wie seine Nervosität nachließ. »Wirklich eine eigenartige Sache, fremd und mächtig. Schiffe habe ich nie besonders gemocht, doch ich mußte mit ihnen fahren, und nach einer Weile erlebt man, wie wundervoll das Meer sein kann. Es ist wie ...« Er zögerte, die Worte fehlten ihm. »Das sollte dir lieber Laurie erzählen, oder Amos. Beide haben etwas, daß mir fehlt: die Gabe, mit Wörtern umzugehen.«

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich würde es lieber von dir hören.« Sie drehte sich zum Fenster - der Fackelschein umspielte ihr Gesicht, und im Halbdunkel wirkte ihr Haar wie eine schwarze Krone auf ihrem Haupt. Sie schwieg eine Weile, dann sah sie Martin an. »Bist du ein guter Jäger?«

Plötzlich mußte Martin grinsen und kam sich wie ein Dummkopf vor. »Ja, ein sehr guter.« Beide wußten, es war keine übertriebene Prahlerei, so wie es zwischen ihnen auch keine falsche Bescheidenheit geben würde. »Ich wurde von Elben unterrichtet, und ich kenne nur einen einzigen Bogenschützen, der besser schießt als ich.«

»Ich mag die Jagd, doch ich habe leider nur selten Zeit dafür, jetzt, wo ich Kommandantin bin. Vielleicht können wir uns irgendwann davonstehlen und Ausschau nach Wild halten. Es ist gefährlicher als im Königreich, denn während wir jagen, jagen uns vielleicht andere.«

Ruhig meinte Martin: »Ich habe schon früher mit den Moredhel zu tun gehabt.«

Sie sah ihm offen ins Gesicht. »Du bist ein starker Mann, Martin.« Und indem sie ihm die Hand wieder auf den Arm legte, fuhr sie fort: »Und ich glaube, auch ein guter Mann. Ich bin Briana, die Tochter von Gwynnath und Gurtman, aus der Linie der Alwynne.« Diese Worte waren sehr förmlich, dennoch lag noch etwas anderes in ihnen, als wollte sie sich damit vor ihm enthüllen, als reiche sie ihm ihre Hand.

»Ich bin Martin, der Sohn von Margaret ...« Zum ersten Mal seit Jahren dachte er an seine Mutter, ein schönes Dienstmädchen am Hofe von Herzog Brucal. »... und Borric, aus der Linie von Dannis, der Erstgeborene der conDoins. Man nennt mich Martin Langbogen.«

Sie sah ihm lange ins Gesicht, als wollte sie sich jeden einzelnen Zug einprägen. Dann änderte sich ihre Miene, und sie lächelte. Martin spürte, wie bei ihrem Anblick Hitze aus seiner Brust aufstieg. Sie lachte. »Der Name paßt zu dir, Martin Langbogen. Du bist so groß und kräftig wie deine Waffen. Hast du eine Frau?«

Martin antwortete leise. »Nein. Ich ... ich habe nie die richtige getroffen ... Ich konnte nie besonders gut mit Worten und ... Frauen umgehen. Ich habe noch nicht viele kennengelernt.«

Sie legte ihm den Finger auf die Lippen. »Ich verstehe.«

Plötzlich fand sich Martin in ihren Armen wieder, und ihr Kopf lag an seiner Brust. Er wußte nicht, wie ihm geschehen war. Vorsichtig hielt er sie fest, als würde die leiseste Bewegung sie fliehen lassen. »Ich weiß nicht, wie man die Dinge im Königreich handhabt, Martin, doch Amos hat mir erzählt, ihr würdet es vermeiden, über Sachen zu sprechen, die wir hier in Armengar offen zugeben. Aber ich möchte heute nacht nicht allein sein.« Sie sah ihm wieder ins Gesicht, und er las darin das Verlangen und die Angst; er verstand, was sie wollte. Leise, fast unhörbar, sagte sie: »Bist du so sanft wie du stark bist, Martin Langbogen?«

Martin betrachtete ihr Gesicht und wußte, er brauchte nicht zu antworten. Schweigend hielt er sie lange Zeit fest, bis sie sich langsam von ihm löste, seine Hand nahm und ihn zu ihrem Gemach führte.

 

Lange Zeit saß Arutha nur da und beobachtete Guy. Der Protektor von Armengar war in Gedanken versunken und trank nur gelegentlich einen Schluck Bier. Endlich sagte Guy: »Was ich hier am meisten vermisse, ist Wein, glaube ich. Es gibt Zeiten, da paßt er einfach zu einer gewissen Stimmung, findet Ihr nicht auch?«

Arutha nickte und kostete von seinem Bier. »Amos hat uns von Eurem Verlust erzählt.«

Guy machte eine abwesende Handbewegung, und Arutha bemerkte, daß der Protektor ein wenig betrunken war. Seine Bewegungen waren nicht ganz so sicher, nicht ganz so kontrolliert wie gewöhnlich. Doch wenn er sprach, war seine Stimme klar. Er seufzte tief. »Für Euch ist der Verlust noch größer, Arutha, denn Ihr habt sie nie kennengelernt.«

Arutha wußte nicht, was er sagen sollte. Plötzlich war er verwirrt, als müsse er Zeuge von etwas sehr Privatem werden, als müsse er die Fesseln des Grames gemeinsam mit einem Mann tragen, den er eigentlich hassen sollte. »Ihr sagtet, wir müßten uns unterhalten, Guy.«

Guy nickte und schob seinen Becher zur Seite. Immer noch starrte er ins Leere. »Ich brauche Euch.« Er wandte das Gesicht Arutha zu. »Ich brauche zumindest das Königreich, und das bedeutet, ich brauche Lyam.« Arutha gab Guy ein Zeichen fortzufahren. »Mir ist es egal, ob Ihr über mich persönlich eine gute Meinung habt oder nicht. Doch Ihr müßt mich als Anführer dieses Volkes anerkennen.« Er dachte nach. Dann fuhr er fort: »Ich glaubte, Euer Bruder würde Anita heiraten. Es wäre die vernünftigste Sache der Welt gewesen, um seinen Anspruch zu festigen. Doch er war schon König, ehe er sich versah. Rodric hat uns allen einen Gefallen damit getan, daß er kurz vor seinem Tod noch einen lichten Moment hatte.« Er sah Arutha scharf an. »Anita ist eine schöne junge Frau. Ich hatte nie das Verlangen, sie zu heiraten, nur wäre mir diese Verbindung zu jener Zeit sehr gelegen gekommen. Ich hätte ihr ihre eigene ... Befriedigung zugestanden. Doch so, wie sich die Dinge jetzt entwickelt haben, ist es besser.« Er lehnte sich zurück. »Ich bin betrunken. Meine Gedanken schweifen ab.« Er Schloß das eine Auge, und einen Moment lang dachte Arutha, er würde einschlafen.

Doch schließlich sagte Guy: »Amos hat Euch erzählt, wie ich nach Armengar gelangt bin, deshalb will ich die Geschichte nicht wiederholen. Aber ich glaube, von anderen Dingen hat er nichts erwähnt. Hat Euch Euer Vater jemals erzählt, wie es zu dieser erbitterten Feindschaft gekommen ist?«

Arutha bemühte sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Er sagte, Ihr wärt der Ausgangspunkt aller Intrigen gegen das Westliche Reich, und Ihr hättet Eure Stellung sowohl bei Rodric als auch bei seinem Vater ausgenutzt, um Vaters Position zu schwächen.«

Zu Aruthas Erstaunen sagte Guy: »Das ist zum größten Teil richtig. Man könnte meine Taten vielleicht in einem etwas besseren Licht darstellen, doch unter Rodric und auch seinem Vater habe ich niemals im Interesse des Westens gehandelt. Nein, ich meine etwas anderes.«

»Wenn er von Euch gesprochen hat, dann immer nur als Feind.« Arutha dachte nach und fügte hinzu: »Dulanic sagte einmal, Ihr und Vater wärt einst Freunde gewesen.«

Guy starrte ins Feuer. Er schien weit entfernt zu sein, als würde er sich an etwas erinnern. Leise sagte er: »Ja, sehr gute Freunde.« Wieder verfiel er in Schweigen, doch gerade, als Arutha zu sprechen beginnen wollte, sagte er: »Als alles anfing, unter der Herrschaft von Rodric dem Dritten, waren wir junge Männer am Hof. Wir gehörten zu den allerersten Junkern, die an den Hof geschickt wurden - das hatte Caldric eingeführt, um Regenten zu erziehen, die mehr Bildung hatten als ihre Väter.« Guy überlegte. »Ich möchte Euch erzählen, wie es war. Und wenn ich fertig bin, werdet Ihr verstehen, warum Ihr und Euer Bruder nie an den Hof geschickt wurdet.

Ich war drei Jahre jünger als Euer Vater, der gerade achtzehn geworden war, doch wir waren gleich groß und hatten das gleiche Temperament. Zuerst wurden wir zusammengesteckt, weil wir Cousins waren, und man erwartete von mir, daß ich diesem Sohn eines Herzogs vom Lande Manieren beibrachte. Die Zeit verging, und wir wurden Freunde. In all den Jahren spielten, hurten und kämpften wir zusammen.

Oh, natürlich hatten wir auch Meinungsverschiedenheiten.

Borric war der Sohn eines Edlen aus den Grenzländern, und für ihn standen die alten Begriffe von Ehre und Pflicht über allem. Er verstand wenig von den eigentlichen Ursachen der Ereignisse, die sich um ihn herum abspielten. Ich, nun ...« Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, als wollte er die Müdigkeit fortwischen. Seine Stimme wurde lebhafter. »Ich wuchs an einem Hof im Osten auf, und von Kind an war ich daran gewöhnt zu befehlen. Meine Familie ist so alt und ehrwürdig wie jede andere des Königreichs, selbst wie Eure. Hätten Delong und seine Brüder etwas weniger begabte Generäle gehabt, und meine Vorfahren etwas bessere, dann würden heute vielleicht die Bas-Tyras den König stellen und nicht die conDoins. Jedenfalls wurde mir schon als Kind beigebracht, wie das große Spiel der Politik im Königreich gespielt wurde. Nein, dein Vater und ich, wir waren ausgesprochen unterschiedlich, dennoch, in meinem ganzen Leben habe ich keinen Mann mehr geliebt als Borric.« Er sah Arutha scharf an. »Er war der Bruder, den ich nie gehabt habe.«

Arutha war fasziniert. Zweifellos stellte Guy die Dinge in ihrem besten Licht dar, und Arutha vermutete sogar hinter der Trunkenheit nur eine Pose, doch er war neugierig auf die Jugend seines Vaters. »Was hat schließlich die Entzweiung zwischen euch herbeigeführt?«

»Als junge Männer ergänzten wir uns prächtig, was die Jagd, das Spiel und die Aufmerksamkeit der Damen anging. Unsere politischen Meinungsverschiedenheiten trugen wir zwar immer wieder mit scharfen Worten aus, doch wir fanden stets einen Weg, den Streit beizulegen und uns wieder zusammenzuraufen. Einmal kam es sogar zu einer Prügelei, weil ich einige gedankenlose Bemerkungen gemacht hatte. Ich hatte gesagt, Euer Urgroßvater wäre nichts weiter als der verärgerte dritte Sohn eines Königs, der mit der Macht der Waffen versuchte, etwas zu finden, das es im Königreich nicht gab. Borric hielt dagegen, er sei ein großer Mann, der das Banner des Königreichs nach Bosania gebracht habe.

Ich entgegnete darauf, der Westen würde sowieso nichts zu den Mitteln des Königreichs beisteuern. Die Entfernungen seien einfach zu groß, um eine ordentliche Verwaltung zu gewährleisten. Ihr herrscht in Krondor. Und Ihr wißt, daß Ihr ein unabhängiges Reich regiert, das nur grobe politische Vorgaben aus Rillanon erhält. Na, jedenfalls stritten wir uns darüber, und dann schlugen wir uns. Später ließ der Zorn nach. Doch zum ersten Mal hatten wir gemerkt, wie sehr uns die Meinungen über die Politik im Reich voneinander trennten. Trotzdem, selbst diese Differenzen konnten die Freundschaft zwischen uns nicht erschüttern.«

»Ihr tut so, als hätte es lediglich zwischen zwei ehrenwerten Männern verständliche Auseinandersetzungen über Politik gegeben. Doch ich kannte Vater. Er haßte Euch, und dieser Haß saß tief; da muß mehr vorgefallen sein.«

Guy starrte wieder einige Zeit ins Feuer. Leise sagte er: »Euer Vater und ich waren in vielerlei Hinsicht Konkurrenten, doch am weitesten gingen diese Rivalitäten, was Eure Mutter betraf.«

Arutha beugte sich vor: »Was?«

»Als Euer Onkel Malcom am Fieber starb, wurde Euer Vater nach Hause gerufen. Er war der älteste Sohn, und er sollte einst die Nachfolge antreten. Um dafür ausgebildet zu werden, war er schließlich an den Hof geschickt worden. Als Malcom starb, war Euer Großvater allein. Deshalb ließ Euer Großvater Euren Vater vom König zum Wächter des Westens ernennen, und Borric wurde zurück nach Crydee geschickt. Euer Großvater war zu jener Zeit schon ein alter Mann - Eure Großmutter war bereits gestorben -, und nach Malcoms Tod schienen seine Kräfte rasch zu schwinden. Kaum zwei Jahre später starb er, und Borric wurde Herzog von Crydee. Zu der Zeit war Brucal nach Yabon zurückgekehrt, und ich war Erster Junker am Hofe des Königs. Ich freute mich auf Borrics Rückkehr - er mußte sich schließlich dem König vorstellen und ihm als neuer Herzog die Treue schwören. Dazu sind alle Herzöge während des ersten Jahres ihrer Herrschaft verpflichtet.«

Arutha rechnete nach. Das mußte zu der Zeit gewesen sein, als sein Vater auf dem Weg in die Hauptstadt Brucal in Yabon besucht hatte. Während dieses Besuches hatte sich Borric von einem schönen Dienstmädchen hinreißen lassen, und daraus war Martin hervorgegangen. Das hatte Borric jedoch erst fünf Jahre später erfahren.

Guy fuhr mit seiner Erzählung fort. »In dem Jahr, bevor Borric nach Rillanon zurückkehrte, kam Eure Mutter an den Hof, als Hofdame von Königin Janica, der zweiten Frau des Königs – Prinz Rodrics Mutter. Da lernten Catherine und ich uns kennen. Abgesehen von Gwynnath war sie die einzige Frau, die ich jemals geliebt habe.«

Guy verfiel in Schweigen, und plötzlich überkam Arutha ein seltsames Gefühl der Scham, als wäre er schuld daran, daß Guy jetzt die beiden schwersten Verluste seines Lebens noch einmal durchmachen mußte. »Catherine war außergewöhnlich, Arutha. Ich weiß, Ihr wißt das; schließlich war sie Eure Mutter. Als ich sie zum ersten Mal sah, war sie so erfrischend wie ein Frühlingsmorgen, ihre Wangen waren leicht gerötet, und in ihrem schüchternen Lächeln lag eine gewisse Verspieltheit. Sie hatte goldenes Haar. Vom ersten Augenblick an war ich in sie verliebt. Und Euer Vater ebenfalls. Von da an wurde unser Ringen um ihre Aufmerksamkeit zu einem erbitterten Kampf. Zwei Monate lang machten wir ihr beide den Hof, und am Ende des zweiten redeten Euer Vater und ich kein Wort mehr miteinander, so tief ging unsere Rivalität. Borric schob seine Abreise nach Crydee immer wieder auf und verweilte, weil er um Catherine werben wollte. Verzweifelt wetteiferten wir beide um ihre Gunst.

Eines Morgen wollte ich mit Catherine ausreiten, doch als ich in ihrem Gemach ankam, traf sie Vorbereitungen für eine Reise. Sie war eine Cousine ersten Grades von Königin Janica und damit eine Art Preis in den Intrigen des Hofes. Die Lektionen, die ich Eurem Vater Jahre zuvor erteilt hatte, zahlten sich aus, denn während ich mit Catherine ausritt und im Park spazierenging, hatte er mit dem König gesprochen. Rodric legte Eurer Mutter ans Herz, Euren Vater zu heiraten. Es war eine politisch vorteilhafte Heirat: Der König hatte seine Zweifel an den Fähigkeiten seines Sohnes und der Gesundheit seines Bruders. Zum Teufel, aber Rodric war ein unglücklicher Mann. Seine drei Söhne aus erster Ehe waren gestorben, ehe sie das Mannesalter erreicht hatten, und ihren Tod wie auch den seiner geliebten Königin Beatrice hatte er nie verwunden. Und sein jüngerer Bruder Erland war ein kränklicher Nachkömmling, der an Lungenfieber litt. Er war kaum zehn Jahre älter als Prinz Rodric. Am Hof wußten alle, daß der König am liebsten Euren Vater als Nachfolger gesehen hätte, doch Janica hatte ihm noch einen Sohn geschenkt - den Rodric jedoch verachtete. Ich glaube, er hat die Ehe zwischen Eurem Vater und Eurer Mutter nur deshalb angestrebt, um seine Bande zum Thron zu stärken, damit er Borric eines Tages zum Thronfolger erklären könnte, und die nächsten zwölf Jahre verbrachte er mit dem Versuch, aus seinem Sohn einen Mann zu machen oder ihn zu brechen. Doch der König benannte vor seinem Tod keinen Erben, und deshalb blieb uns nur Rodric der Vierte, ein noch traurigerer und gebrochenerer Mann als sein Vater.«

Arutha sah mit roten Gesicht auf. »Was meint Ihr damit, daß der König meiner Mutter die Heirat mit meinem Vater ans Herz legte?«

Guys eines Auge blitzte auf. »Es war eine politische Heirat, Arutha.«

Aruthas Wut steigerte sich: »Aber meine Mutter hat meinen Vater geliebt!«

»Bis zu der Zeit, als Ihr geboren wurdet, hatte sie sicherlich gelernt, ihn zu lieben. Euer Vater war ein guter Mann und sie eine liebende Frau. Doch in jenen Tagen hat sie mich geliebt.« Seine Stimme war belegt, als er weitersprach. »Sie hat mich geliebt. Ich kannte sie schon ein Jahr, bevor Rodric zurückkehrte. Wir wollten heiraten, wenn meine Zeit als Junker um war, doch wir hatten niemandem davon erzählt. In einer Nacht haben wir uns beide wie Kinder unsere Liebe geschworen. Ich hatte meinem Vater geschrieben, damit er bei Königin Janica um Catherines Hand anhielt. Doch ich habe nicht daran gedacht, selbst mit dem König zu sprechen. Ich, der gerissene Sohn von einem Hof des Ostens, hatte mich vom Jungen eines Landadligen hereinlegen lassen. Zum Teufel, ich hatte mich für so verschlagen gehalten. Nun gut, ich war erst neunzehn. Es war vor so langer Zeit.

Ich war außer mir vor Wut. In jenen Tagen war ich genauso temperamentvoll wie Euer Vater. Ich stürmte vom Gemach Eurer Mutter fort und suchte Borric. Wir kämpften; im Palast des Königs duellierten wir uns und hätten uns beinahe gegenseitig getötet. Gewiß habt Ihr einmal die lange Narbe gesehen, die Euer Vater an der Seite hatte, von kurz unter dem linken Arm bis über die Rippen. Die stammte von mir. Mich hat er ähnlich schwer verletzt. Fast wäre ich gestorben. Als ich mich erholt hatte, war Euer Vater schon eine Woche abgereist und hatte Catherine mit nach Crydee genommen. Ich wäre ihm gefolgt, doch der König verbot es mir bei Todesstrafe. Er hatte recht, denn die beiden waren verheiratet. Von da an trug ich nur noch Schwarz, als Zeichen meiner Schmach. Dann wurde ich losgeschickt, um in Niederhohnheim gegen die Keshianer zu kämpfen.« Er lachte verbittert. »Mein guter Ruf als General rührt zum größten Teil von dieser Schlacht her. Ich verdanke Eurem Vater viel von meinem Erfolg, weil ich eigentlich die Keshianer dafür büßen ließ, daß er mir Catherine geraubt hatte. Ich tat Dinge, die kein General bei rechtem Verstand gewagt hätte, Angriff für Angriff. Vielleicht wollte ich insgeheim dabei sterben.« Seine Stimme wurde leise, und er lachte in sich hinein. »Ich war fast enttäuscht, als sie die Bedingungen für eine Kapitulation aushandeln wollten.«

Guy seufzte. »Vieles in meinem Leben rührt von dort her. Ich war unter bestimmten Umständen bereit, meine Feindschaft mit Borric zu begraben, doch er ... er zeigte mir die kalte Schulter, auch nachdem Eure Mutter gestorben war. Und er wies den Gedanken zurück, seine Söhne an den Hof des Königs zu schicken. Ich glaube, er hatte Angst, ich könnte an Euch und Lyam Rache nehmen.«

»Er liebte Mutter; nach ihrem Tod ist er nie wieder glücklich geworden«, sagte Arutha. Er fühlte sich unbehaglich und ärgerte sich gleichzeitig über das, was er gesagt hatte. Schließlich brauchte er das Verhalten seines Vaters nicht vor dessen ärgstem Feind zu rechtfertigen.

Guy nickte. »Ich weiß. Wenn man jung ist, kann man nicht verstehen, daß die Gefühle eines anderen so tief sind wie die eigenen. Die Liebe fliegt hoch, und der Schmerz ist so viel heftiger. Als ich älter wurde, wurde mir klar, Borric liebte Catherine genauso sehr wie ich. Und ich glaube, sie liebte ihn auch.« Guys eines Auge blickte ins Leere. Seine Stimme wurde leiser und klang nachdenklich. »Sie war eine wunderbare, großzügige Frau, die in ihrem Leben genug Platz für viele Lieben hatte. Dennoch glaube ich, im Herzen Eures Vater hatte sich für immer der Zweifel breitgemacht.« Guy sah Arutha mit einem Ausdruck der Verwunderung und des Bedauerns an. »Könnt Ihr Euch das vorstellen? Wie traurig muß er gewesen sein? Vielleicht war ich in gewisser Weise der Glücklichere, weil ich wußte, sie liebte mich. Ich hegte nie Zweifel daran.« Arutha bemerkte einen feuchten Glanz in Guys gesundem Auge. Der Protektor wischte die Träne mit einer unbefangenen Geste fort. Er lehnte sich zurück, schloß die Augen, legte die Hand an die Stirn und fügte leise hinzu: »Manchmal gibt es im Leben keine Gerechtigkeit.«

Arutha grübelte darüber nach. »Warum habt Ihr mir das alles erzählt?«

Guy richtete sich auf. »Weil ich Euch brauche. Und ich darf nicht an Euch zweifeln. Für Euch bin ich ein Verräter, der die Herrschaft im Königreich zu seinem eigenen Nutzen an sich reißen wollte. Teilweise habt Ihr recht damit.«

Arutha war erneut von Guys Offenheit überrascht.

»Aber wie wollt Ihr das rechtfertigen, was Ihr Erland angetan habt?«

»Ich bin für seinen Tod verantwortlich. Das kann ich nicht verleugnen. Es war mein Hauptmann, der ihn nicht aus der Haft entließ, obwohl ich das angeordnet hatte. Radburn hatte seine Fähigkeiten, doch manchmal war er etwas übereifrig. Ich kann seine Angst verstehen, weil ich ihn hart dafür bestraft hätte, wenn er Euch und Anita hätte fliehen lassen. Ich brauchte sie, um in die Erbfolge zu kommen, und Ihr wärt eine gute Geisel bei den Verhandlungen mit Eurem Vater gewesen.« Er sah die Überraschung auf Aruthas Gesicht und meinte: »Oh, ja, meine Spione wußten sehr wohl, daß Ihr Euch in Krondor aufhieltet - jedenfalls berichteten sie mir das, als ich von dem kleinen Scharmützel mit den Keshianern bei Shamata zurückkam -, doch Radburn machte einen entscheidenden Fehler. Er glaubte, Ihr würdet ihn zu Anita führen. Es kam ihm nie in den Sinn, daß Ihr vielleicht gar nichts mit ihrer Flucht zu tun hattet. Dieser Dummkopf hätte Euch einfach einsperren und die Suche nach ihr fortsetzen sollen.«

Arutha spürte, wie sein Mißtrauen wiederkehrte und seine Sympathie für Guy schwand. Ungeachtet der offenen Rede des Protektors stieß ihm die Abgebrühtheit übel auf, mit der Guy Menschen benutzte. Der frühere Herzog von Bas-Tyra fuhr fort: »Aber ich habe Erlands Tod nicht gewollt. Rodric hatte mich bereits als Vizekönig eingesetzt und mir das Kommando über den Westen übertragen. Ich brauchte Erland nicht unbedingt, ich brauchte nur eine Verbindung zum Thron: Anita. Rodric der Vierte war wahnsinnig. Und ich wußte das genau wie Caldric - als einer der ersten. Rodric durfte nicht mehr lange regieren. Die ersten acht Jahre des Krieges war es am Hof schwierig gewesen, doch in den letzten Jahren seiner Herrschaft besaß Rodric fast keinen Verstand mehr. Kesh hatte immer schon einen Blick nach Norden geworfen und nach Zeichen der Schwäche Ausschau gehalten. Ich wollte die Last der Krone nicht tragen, doch ich glaubte, ich wäre fähiger als jeder andere gewesen, das Land zu regieren. Fähiger selbst als Euer Vater, der in der Thronfolge hinter Erland stand.«

»Wozu aber die ganzen Intrigen? Ihr hattet einigen Rückhalt in der Versammlung der Lords. Caldric, Vater und Erland konnten Euren Versuch, bis zu seiner Volljährigkeit Prinz Rodrics Regent zu werden, kaum zurückweisen. Ihr hättet andere Wege finden können.«

»Die Versammlung kann einen König wählen«, entgegnete Guy mit erhobenem Zeigefinger, »sie kann ihn jedoch nicht absetzen. Ich mußte einen Weg finden, wie ich den Thron ohne Bürgerkrieg besteigen konnte. Der Krieg mit den Tsurani zog sich in die Länge, und Rodric hätte Eurem Vater die Armeen des Ostens nicht zu Hilfe geschickt. Er hätte sie nicht einmal mir überlassen, und ich war der einzige, dem er vertraute. Neun Jahre lang ein verlustreicher Krieg, neun Jahre lang unter einem wahnsinnigen König: Das Reich war dabei auszubluten. Nein, das alles mußte ein Ende finden, doch egal, wieviel Rückhalt ich hatte, es gab einfach Leute wie Brucal und Euren Vater, die ohne Zögern gegen mich marschieren würden. Deshalb brauchte ich Anita zur Frau und Euch als Geisel. Ich wollte Borric ein Angebot unterbreiten.«

»Was für ein Angebot?«

»Er sollte im Westen herrschen, damit wäre das Königreich geteilt und jedes Reich seinem eigenen Schicksal überlassen gewesen. Nur wußte ich, keiner der Lords aus dem Westen hätte das zugelassen. Also wollte ich Borrics Namen in der Erbfolge hinter meinen stellen, oder auch Lyams oder Euren. Wen auch immer er ausgesucht hätte, ich hätte ihn zum Prinzen von Krondor gemacht. Ich hätte versichert, daß ich keine Söhne hatte, die Anspruch auf die Krone erheben würden. Doch Euer Vater hätte mich als König in Rillanon anerkennen und mir Treue schwören müssen.«

Mit einem Mal verstand Arutha diesen Mann. Nachdem er Aruthas Mutter an Borric verloren hatte, war ihm seine persönliche Ehre nichts mehr wert gewesen, doch eine Ehre hatte er weiter über alles hochgehalten: die Ehre des Königreichs. Er war bereit gewesen, alles zu tun - selbst einen Königsmord zu begehen, der ihn als Thronräuber und Verräter in die Geschichte hätte eingehen lassen -, wenn er dadurch einen wahnsinnigen König von seinem Thron stürzen konnte. Arutha verspürte einen üblen Geschmack im Mund.

»Als Rodric starb und schließlich doch Lyam als Thronfolger bestimmt wurde, hatte das alles keine Bedeutung mehr. Euer Bruder ist mir unbekannt, aber ich vermute, daß er in vielerlei Hinsicht seinem Vater ähnelt. In jedem Fall ist das Königreich jetzt in besseren Händen als zu Zeiten Rodrics.«

Arutha seufzte. »Ihr habt mir einiges zu denken gegeben, Guy Ich heiße nicht alle Eure Überlegungen und Methoden gut, doch ich verstehe sie nun besser.«

»Ob Ihr sie gutheißt, ist nicht von Belang. Ich bereue nichts von dem, was ich getan habe, auch wenn ich zugebe, daß meine Entscheidung, den Thron für mich zu erobern, zum Teil aus Boshaftigkeit gegen Euren Vater geschah. Ich sollte Eure Mutter nicht bekommen, und Borric nicht den Thron. Neben diesen selbstsüchtigen Überlegungen war ich jedoch der festen Überzeugung, ein besserer König als Euer Vater zu sein. Was ich am besten kann, ist Herrschen. Aber deswegen habe ich mich bei dem, was ich tun mußte, noch lange nicht gut gefühlt.

Nein, worum es mir geht, ist Euer Verständnis. Ihr müßt nicht so sein wie ich, doch Ihr müßt mich als den nehmen, der ich bin. Und Ihr müßt akzeptieren, was ich tue. Ich brauche diese .Anerkennung, damit ich die Zukunft von Armengar sichern kann.«

Arutha schwieg und fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er erinnerte sich an ein Gespräch, das er vor zwei Jahren geführt hatte. Nach einiger Zeit des Schweigens sagte er: »Ich bin nicht derjenige, der über Euch richten soll. Ich habe gerade an ein Gespräch mit Lyam in der Gruft meines Vaters zurückgedacht. Ich war bereit, eher Martins Leben zu opfern als einen Bürgerkrieg zu riskieren. Meinen eigenen Bruder ...« fügte er leise hinzu.

»Solche Entscheidungen bringt das Herrschen mit sich.« Guy lehnte sich zurück und faßte Arutha scharf ins Auge. Endlich sagte er: »Und, wie habt Ihr Euch bei dieser Entscheidung gefühlt?«

Arutha zögerte, dieses Gefühl mit Guy zu teilen. Dann, nachdem er lange geschwiegen hatte, sah er dem Protektor direkt ins Gesicht. »Schmutzig. Ich habe mich schmutzig gefühlt.«

Guy streckte die Hand aus. »Ihr versteht es.« Langsam ergriff Arutha seine Hand und schüttelte sie. »Und nun zum Kern der Sache.

Als wir, Amos, Armand und ich, hier ankamen, waren wir krank, verletzt und halb verhungert. Diese Leute pflegten uns - uns, die Fremden aus einem fernen Land -, und das ohne Fragen.

Schließlich waren wir wieder gesund und willig zu kämpfen, und wir entdeckten, daß von allen, die dazu in der Lage waren, Gehorsam erwartet wurde - und das ebenfalls ohne Fragen. Also nahmen wir unsere Posten in der Garnison an und lernten Armengar kennen.

Der Protektor vor Gwynnath war wie sie ein fähiger Kommandant gewesen, doch beide kannten sich in der modernen Kriegsführung wenig aus. Nichtsdestotrotz hielten sie die Bruderschaft und die Goblins in Schach. Es war ein blutiges Gleichgewicht von Sieg und Niederlage.

Dann erschien Murmandamus, und die Dinge veränderten sich. Als ich hier ankam, war die Bruderschaft bei drei von vier Gefechten siegreich. Die Armengaren verloren und wurden zum ersten Mal in ihrer Geschichte regelmäßig zurückgeschlagen. Ich brachte ihnen einiges über zeitgemäße Kriegsführung bei, und unsere Lage ist wieder stabil. Niemand kann sich der Stadt auf mehr als fünfundzwanzig Meilen nähern, ohne von unseren Vorposten und Patrouillen entdeckt zu werden. Doch trotzdem ist es zu spät.«

»Warum zu spät?«

»Selbst wenn Murmandamus nicht über uns herfiele, würde dieses Volk die nächsten beiden Generationen nicht überdauern. Die Stadt stirbt. Soweit ich es beurteilen kann, lebten vor zwei Jahrzehnten noch vielleicht fünfzehntausend Menschen in der Stadt und auf dem Land in der Umgebung. Vor zehn Jahren mögen es noch elf- oder zwölftausend gewesen sein. Jetzt sind es noch siebentausend, womöglich sogar weniger. Im ständigen Krieg werden Frauen im gebärfähigen Alter getötet, und bei den Verwüstungen der Steadings und Kraals sterben die Kinder: Das alles summiert sich, die Größe der Bevölkerung nimmt ständig ab, und das immer schneller. Und noch etwas anderes kommt hinzu. Es ist, als hätten die langen Jahre des Krieges den Menschen die Kraft geraubt. Bei allem Willen zum Kampf sind sie den Dingen des täglichen Lebens gegenüber seltsam gleichgültig.

Ihre Kultur ist verzerrt, Arutha. Sie haben nichts als den Kampf und letzten Endes den Tod. Ihre Poesie besteht nur aus Heldensagen, und ihre Musik sind einfache Schlachtlieder. Habt Ihr bemerkt, daß es in der Stadt keine Schilder gibt? Jeder weiß, wo jeder andere lebt und arbeitet. Wozu also Schilder? Arutha, niemand, der in Armengar geboren wurde, kann lesen oder schreiben. Sie haben nicht die Zeit zum Lernen. Dieses Volk versinkt langsam unaufhaltbar in Barbarei. Selbst wenn Murmandamus nicht wäre, in zwei Jahrzehnten gäbe es dieses Volk nicht mehr. Sie würden sich zu dem entwickeln, was die Nomaden der Donnernden Hölle sind. Das liegt an den ewigen Kämpfen.«

»Ich kann verstehen, wie das allem den Sinn entzieht. Nur wie kann ich Euch helfen?«

»Wir brauchen Unterstützung. Ich würde die Herrschaft der Stadt gern an Brucal -«

»Vandros. Brucal ist zurückgetreten.«

»- dann eben an Vandros übergeben. Macht Armengar zu einem Teil des Herzogtums von Yabon. Diese Leute sind einst - vor Jahrhunderten - vor dem Königreich geflohen. Heute würden sie nicht zögern, es zu umarmen, wenn ich es nur anordnen würde. So sehr haben sie sich geändert. Doch gebt mir zweitausend starke Fußsoldaten aus den Kasernen von Yabon und Tyr-Sog, und ich werde diese Stadt ein weiteres Jahr gegen Murmandamus verteidigen. Fügt noch einmal tausend Soldaten und zweitausend Pferde hinzu, und ich werde die Ebene von Isbandia von jedem Goblin und jedem Dunklen Bruder säubern. Gebt mir die Armeen des Westens, und ich treibe Murmandamus nach Sar-Sargoth zurück und brenne die Stadt mitsamt ihm selbst nieder. Dann können wir Handel treiben, und Kinder können wieder Kinder sein, nicht kleine Kämpfer. Dichter werden wieder dichten, und Maler werden malen. Dann wird diese Stadt vielleicht wieder wachsen.«

»Und Ihr werdet weiterhin der Protektor bleiben wollen, oder vielleicht gar der Graf von Armengar?« fragte Arutha, der sein Mißtrauen noch nicht ganz überwunden hatte.

»Zum Teufel«, meinte Guy und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wenn Lyam den Verstand eines Weißbrotes hat, dann ja.« Guy ließ sich zurücksinken. »Ich bin müde, Arutha. Ich bin betrunken und müde.« Sein gesundes Auge füllte sich mit Tränen. »Ich habe das einzige verloren, was mir seit langen Jahren etwas bedeutet hat, und alles, was mir bleibt, ist die Not dieser Menschen. Ich werde sie nicht im Stich lassen, doch wenn sie erst einmal in Sicherheit sind ...«

Arutha war wie betäubt. Guy entblößte ihm seine Seele, und alles, was er sah, war ein Mann, dem nichts mehr geblieben war, wofür es sich zu leben lohnte. Es war ernüchternd. »Ich glaube, ich kann Lyam überreden, doch Ihr werdet verstehen, wie er sich Euch gegenüber verhalten wird.«

»Es ist mir egal, was er über mich denkt, Arutha. Er kann sogar meinen Kopf haben.« Seine Stimme verriet Müdigkeit. »Das alles interessiert mich nicht mehr.«

»Ich werde ihm eine Botschaft schicken.«

Guy lachte bitter und niedergeschlagen. »Das, versteht Ihr, ist das Problem, lieber Cousin. Ihr glaubt doch nicht etwa, ich hätte das ganze letzte Jahr hier gesessen und gehofft, daß vielleicht ein Prinz von Krondor nach Armengar spaziert kommt? Ich habe ein Dutzend Botschaften verschickt, nach Yabon, nach Hohe Burg, und darin in allen Einzelheiten geschildert, wie die Lage hier ist, und was ich vorschlagen würde zu tun. Die Schwierigkeit ist nur, während Murmandamus alles und jeden in den Norden kommen läßt, kann nichts und niemand in den Süden gehen. Der Drachenfanger, den Ihr gefunden habt, war der letzte, der es versucht hat. Ich weiß nicht, was mit dem Gesandten passiert ist, den er begleitet hat, kann es mir aber vorstellen ...« Er brachte den Satz nicht zu Ende.

»Ihr seht also, Arutha, wir sind vom Königreich abgeschnitten. Vollständig und endgültig, solange Ihr nicht eine Idee habt, die uns noch nicht gekommen ist.«

 

Martin wachte prustend auf und spuckte einen Mundvoll Wasser aus. Brianas Lachen erfüllte das Zimmer. Sie warf ihm ein Handtuch zu und stellte den jetzt leeren Wasserkrug ab. »Dich bekommt man so schwer wach wie einen Bären im Winter.«

Er zwinkerte und trocknete sich ab. Dann sagte er: »Muß wohl so sein.« Er warf ihr einen bösen Blick zu, doch als er ihr lächelndes Gesicht sah, war seine Wut sofort verraucht. »Draußen in den Wäldern habe ich einen leichten Schlaf. Wenn ich drinnen schlafe, entspanne ich mich.«

Sie kniete sich auf das Bett und küßte ihn. Wie vorher trug sie einen Jagdrock und eine Hose. »Ich muß raus und zu einem unserer Steadings reiten. Willst du mitkommen? Es ist nur für einen Tag.«

Martin grinste. »Sicher.«

Sie küßte ihn wieder. »Danke.«

»Wofür?« fragte er deutlich verwirrt.

»Dafür, daß du bei mir geblieben bist.«

Martin starrte sie an. »Du bedankst dich bei mir?«

»Natürlich; ich habe dich darum gebeten.«

»Ihr seid vielleicht ein seltsames Volk, Bree. Die meisten Männer würden mir mit Vergnügen die Kehle aufschlitzen, wenn sie in der letzten Nacht meine Stelle hätten einnehmen dürfen.«

Sie drehte den Kopf leicht zur Seite und sah ihn fragend an. »Wirklich? Wie komisch. Ich könnte dasselbe über die meisten Frauen hier sagen. Obwohl niemand wegen des Rechts aufs Bett gegeneinander kämpfen würde. Jeder kann sich seinen Liebhaber frei wählen, und der kann ja oder nein sagen. Deshalb habe ich mich bei dir bedankt, weil du ja gesagt hast.«

Martin umarmte sie und küßte sie grob. »In meinem Land halten wir diese Dinge anders.« Er ließ sie los, besorgt, weil er so rauh gewesen war. Sie wirkte ein bißchen verunsichert, doch keinesfalls verängstigt. »Es tut mir leid. Es ist nur ... ich habe dir keinen Gefallen getan, Bree.«

Sie lehnte sich an ihn und legte den Kopf auf seine Schulter. »Du sprichst von etwas, das über das Schlafzimmer hinausgeht.«

»Ja.«

Sie schwieg eine Weile. »Martin, hier in Armengar wissen wir um die Weisheit, nicht allzu weit im voraus zu planen.« Sie stockte, und ihre Augen glänzten. »Mein Vater ist schon seit elf Jahren tot. Meine Mutter stand kurz vor der Heirat mit dem Protektor. Es wäre eine fröhliche Ehe geworden.« Martin sah, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Ich war auch schon einmal verlobt. Er ritt los, ein Vergeltungsangriff wegen eines Goblinüberfalls auf einen Kraal. Er kehrte nie zurück.« Sie sah ihm tief in die Augen. »Wir machen nicht gern Versprechungen. Eine gemeinsam verbrachte Nacht ist kein Treueschwur.«

»Ich bin kein leichtfertiger Mann.«

Sie sah ihm immer noch tief in die Augen. »Ich weiß«, sagte sie leise. »Und ich bin auch keine leichtfertige Frau. Ich wähle meine Liebhaber sorgsam aus. Zwischen uns passiert etwas, und das sehr schnell, Martin. Ich weiß das. Es wird ... über uns kommen, so wie es die Zeit und die Umstände erlauben - doch es wäre vergebene Liebesmüh, sich darüber Gedanken zu machen.« Sie biß sich auf die Lippe, als kämpfte sie mit dem, was sie als nächstes sagen wollte. »Ich bin eine Kommandantin, und ich bin in Dinge eingeweiht, über die der Rest der Stadt nichts weiß. Im Moment kann ich dich nur bitten, nicht mehr zu erwarten, als ich dir freiwillig geben kann.« Sie merkte, wie sich seine Stimmung verschlechterte, also lächelte sie und küßte ihn. »Komm, laß uns losreiten.«

Martin zog sich rasch an. Er war verwirrt wegen dem, was geschehen war, obwohl es ihm gleichzeitig Sicherheit gab. Er fühlte sich sowohl erleichtert als auch besorgt. Erleichtert, weil er ihr seine Gefühle gestanden hatte, besorgt, weil er nicht deutlich genug geworden war und ihre Antwort ausweichend gewesen war. Doch schließlich war er von Elben aufgezogen worden, und wie Briana gesagt hatte, würden sich die Dinge zur ihrer Zeit finden.

 

Arutha beendete seinen Bericht von dem Gespräch des vorhergehenden Abends. Laurie, Baru und Roald saßen bei ihm. Die Jungen waren den ganzen Tag verschwunden gewesen. Martin war ebenfalls nicht in ihr Quartier zurückgekehrt, und Arutha glaubte zu wissen, wo er die Nacht verbracht hatte.

Laurie dachte lange über das nach, was Arutha gesagt hatte. »Die Bevölkerung wird also immer kleiner.«

»Das sagt Guy zumindest.«

»Er hat recht«, ertönte eine Stimme an der Tür.

Sie sahen auf und entdeckten Jimmy und Locklear, die jeder mit einem hübschen Mädchen im Arm in der Tür standen. Locklear hatte seine Gesichtsmuskeln offensichtlich nicht unter Kontrolle. Wie sehr er auch versuchte, sich dagegen zu wehren, sein Mund blieb zu einem breiten Grinsen verzogen.

Jimmy stellte Krista und Bronwynn vor, dann sagte er: »Die Mädchen haben uns die Stadt gezeigt. Arutha, ganze Stadtteile stehen leer, Haus an Haus, niemand lebt dort.« Jimmy sah sich um und entdeckte einen Teller mit Obst. Er schnappte sich eine Birne. »Ich schätze, hier haben mal zwanzigtausend Menschen gelebt. Und jetzt sind es schätzungsweise kaum noch die Hälfte.«

»Ich habe mich eigentlich prinzipiell schon dazu entschlossen, daß wir Armengar helfen müssen. Doch das Problem besteht darin, eine Botschaft zurück nach Yabon zu bringen. Murmandamus kümmert sich vielleicht nicht darum, ob jemand hierherkommt, doch er läßt niemanden wieder heraus.«

»Das macht durchaus Sinn«, bemerkte Roald. »Die meisten, die in den Norden kommen, wollen sowieso in sein Lager. Warum sollen ihn die wenigen stören, die hier in die Stadt gehen und helfen. Er sammelt seine Truppen, und er kann sie wahrscheinlich auch an der Stadt vorbeiführen, wenn er sich dazu entscheidet.«

Baru sagte: »Ich glaube, ich würde durchkommen, wenn ich allein gehen könnte.« Arutha sah ihn neugierig an, und Baru fuhr fort: »Ich bin ein Mann aus den Bergen, und wenn diese Menschen hier auch zu meinem Geschlecht gehören, so sind sie doch Städter. Nur wenige aus den hochgelegenen Steadings und Kraals mögen meine Fähigkeiten haben. Ich muß mich in der Nacht voranbewegen und mich am Tag verstecken, dann werde ich es schon hinüber zu den Bergen von Yabon schaffen. Und wenn ich erst einmal dort bin, wird kein Moredhel oder Goblin mit mir Schritt halten können.«

»Aber es ist gerade die Schwierigkeit, in die Berge von Yabon zu gelangen«, wandte Laurie ein. »Weißt du noch, wie diese Trolle den Drachenfanger gejagt haben, vielleicht schon tagelang?«

»Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen, Baru«, sagte Arutha. »Womöglich müssen wir alles auf eine Karte setzen, aber vielleicht finden wir noch einen anderen Weg. Wir könnten jemanden mit Reitern auf den Berg hochbringen und dann umkehren und den Weg zurück freikämpfen, womit wir wem auch immer eine gute Ausgangsposition für den Weg nach Süden verschaffen würden. Es mag nicht möglich sein, doch das werde ich alles mit Guy besprechen. Wenn wir keine andere Wahl mehr haben, werde ich dir den Versuch gestatten. Obwohl ich glaube, daß es nicht unbedingt das beste ist, wenn einer allein geht. Wir sind auch mit einer kleinen Gruppe zum Moraelin und wieder zurück gezogen.« Er erhob sich. »Wenn jemand einen besseren Plan hat, ist der herzlich willkommen. Ich werde Guy begleiten, wenn er die Zinnen inspiziert. Falls wir hier festsitzen, wenn Murmandamus angreift, können wir uns wenigstens nach Kräften nützlich machen.« Er verließ das Zimmer.

 

Guys Haar wurde vom Wind zerzaust, als sie auf die Ebene jenseits der Stadt hinaussahen. »Ich habe mir jeden Zoll der Mauer angesehen, und ich kann immer noch nicht fassen, wie massiv sie gebaut ist.«

Arutha konnte nur zustimmen. Die Steine, die man benutzt hatte, waren mit einer Genauigkeit behauen, von der die Baumeister und Steinmetze im Königreich nur träumen konnten. Er fuhr mit der Hand über eine Fuge und konnte kaum spüren, wo der eine Stein endete und der andere anfing. »Diese Mauer hätte auch Segersens Leuten widerstanden, wenn sie gekommen wären.«

»Auch wir haben gute Leute in unserer Armee, Arutha. Ich sehe keine Möglichkeit, diese Mauer niederzubrechen außer durch ein Wunder.« Er zog sein Schwert und schlug so hart auf den Stein, daß die Klinge sang, dann deutete er auf die Scharte, die die Waffe hinterlassen hatte. Arutha besah sich die Stelle und bemerkte nur einen leichten, etwas andersfarbigen Kratzer. »Es scheint blauer Grämt zu sein, so etwas wie Eisenstein, doch noch härter. Dieser Stein kommt hier in den Bergen oft vor, doch er ist schwerer zu bearbeiten als alles andere, was ich je gesehen habe. Wie er bearbeitet wurde, weiß niemand. Die Fundamente unter dem Sockel gehen zwanzig Fuß tief in die Erde und sind von vorn bis hinten dreißig Fuß stark. Ich kann mir kaum vorstellen, wie sie die Blöcke aus den Steinbrüchen in den Bergen hierherbewegt haben. Wenn Ihr darunter einen Tunnel grabt, sinkt das ganze Mauerstück ab und erdrückt Euch. Und selbst einen Tunnel zu graben, ist nicht möglich, denn die ganze Mauer ruht auf gewachsenem Fels.«

Arutha lehnte sich an die Mauer und sah hinunter auf die Stadt und die Zitadelle. »Das ist ohne Zweifel die am besten zu verteidigende Stadt, von der ich je gehört habe. Hier kann man wahrscheinlich einer zwanzigfachen Übermacht widerstehen.«

»Normalerweise braucht man eine zehnfache Übermacht, um eine Burg zu stürmen, doch ich bin geneigt, Euch zuzustimmen. Allerdings darf man eine Sache nicht außer acht lassen: Murmandamus' verdammte Magie. Er wird vielleicht nicht in der Lage sein, diese Mauern niederzubrechen, aber ich garantiere Euch, er hat andere Mittel, mit denen er sie überwänden kann. Irgendwie. Sonst würde er nicht kommen.«

»Seid Ihr sicher? Warum sollte er Euch nicht mit einer kleinen, plündernden Truppe einschließen und seine Armee Richtung Süden schicken?«

»Er kann es sich nicht leisten, daß wir ihm im Rücken sitzen. Er hätte in dem Jahr, bevor ich das Kommando übernommen habe, ganz gut mit uns fertig werden können, und wir wären längst ausgeblutet, wenn ich nicht die Spielregeln ein wenig abgewandelt hätte. In den letzten beiden Jahren habe ich unseren Soldaten alles gelehrt, was ich weiß. Mit Armands und Amos' Unterstützung habe ich ihnen die Vorteile der modernen Kriegsführung beigebracht. Nein, Murmandamus ist sich bewußt, hier stehen siebentausend Armengaren, die ihm in den Nacken springen, sobald er ihnen den Rücken zukehrt. Er kann uns nicht hinter seinen Linien zurücklassen. Wir würden ihn handlungsunfähig machen.«

»Also muß er erst mit Euch fertigwerden, bevor er sich dem Königreich zuwendet.«

»Ja. Und er muß schnell machen, sonst verliert er ein weiteres Jahr. Hier oben kommt der Winter früh. Der erste Schnee fallt einige Wochen eher als im Königreich. Innerhalb von Tagen sind die Pässe blockiert, manchmal sogar innerhalb von Stunden. Und wenn er einmal in den Süden aufgebrochen ist, muß er Erfolg haben, denn bis zum Frühjahr kann er seine Truppen nicht wieder in den Norden zurückziehen. Die Zeit steht fest. Er muß innerhalb der nächsten zwei Wochen kommen.«

»Also müssen wir unsere Nachricht bald abschicken.« Guy nickte. »Kommt, ich möchte Euch noch etwas zeigen.« Arutha folgte dem Mann. Immer noch trug er zwiespältige Gefühle in sich. Er wußte, er mußte den Armengaren helfen, dennoch behagte ihm Guy nicht voll und ganz. Arutha hat verstanden, aus welchen Gründen Guy jene Dinge getan hatte, und auf seltsame Weise bewunderte er ihn sogar, wenn auch nur mit Widerwillen. Aber er mochte ihn nicht. Und er wußte ganz genau, warum er ihn nicht mochte: Guy hatte ihm eine Eigenschaft bewußt gemacht, die sie beide teilten. Denn beide mußten sich willenlos dem beugen, was sie zu tun hatten, egal wie viele Opfer es auch kosten mochte. Bisher war Arutha nie so weit gegangen wie Guy, doch er war sich sicher, wäre er an seiner Stelle gewesen, hätte er sich gar nicht viel anders verhalten. Und diese Entdeckung über sich selbst gefiel ihm nicht im geringsten.

Sie gingen durch die Stadt, und Arutha fragte nach jenen Kleinigkeiten, die er bei ihrer Ankunft in der Stadt beobachtet hatte. »Ja«, meinte Guy, »es gibt hier keine geraden Wege, so daß hinter jeder Biegung ein Krieger lauern kann. In der Zitadelle habe ich eine Karte, und die Stadt ist tatsächlich viel stärker durchgeplant als zufällig gewachsen. Wenn Ihr das Muster einmal gesehen habt, wißt Ihr leicht, wie man gehen muß, um einen bestimmten Punkt in der Stadt zu erreichen, doch ohne dieses Muster verirrt man sich leicht und kommt vielleicht gar wieder an der Stadtmauer heraus.« Er zeigte auf ein Gebäude. »Kein Haus hat Fenster auf der Vorderseite, und auf jedem Dach ist eine Plattform für Bogenschützen. Diese Stadt ist so gebaut, daß sie jeden Angreifer teuer zu stehen kommt.«

Bald waren sie wieder in der Zitadelle. Sie sahen die Jungen über den Hof kommen. »Wo sind die Mädchen?« fragte Arutha.

Locklear sah enttäuscht aus. »Sie mußten noch ein paar Sachen erledigen, bevor sie sich wieder zum Dienst melden.«

Guy fixierte die beiden Junker. »Na, dann kommt doch mit uns, wenn ihr nichts Besseres zu tun habt.«

Sie folgten Guy bis zum Aufzug. Guy zog an der Glocke und gab das Zeichen, mit dem man bis zum höchsten Punkt hinaufgezogen wurde. Als sie oben ankamen, sahen sie hinab auf die Stadt und die Ebene dahinter. »Armengar.« Guys Hand deutete zum Horizont. »Dort liegt die Ebene von Isbandia. Das Tal von Isbandia durchschneidet sie und bildet unsere Grenze im Norden und Nordwesten. Die Ebene dahinter gehört Murmandamus. Im Osten liegt der Weidenwald, der fast so ausgedehnt ist wie der Dunkelhain oder das Grüne Herz. Wir wissen nicht viel darüber, außer daß wir an seinen Rändern sicher Holz schlagen können. Jeder, der sich weiter als ein paar Meilen hineinwagt, wird nie wieder gesehen.« Er zeigte Richtung Norden. »Hinter dem Tal liegt Sar-Sargoth. Wenn man besonders verwegen ist, kann man die Hügel am Nordrand des Tales hinaufklettern und über die Ebene hinweg die Lichter der Zwillingsstadt funkeln sehen.«

Jimmy betrachtete die Kriegsmaschinen auf dem Dach eingehend. »Ich verstehe nicht viel von solchen Dingen, aber reichen diese Katapulte über die Stadtmauer hinaus?«

»Nein«, sagte Guy nur. »Kommt mit.«

Sie gingen zurück zum Aufzug, und Guy zog an der Kordel. Arutha bemerkte, daß es verschiedene Zeichen gab, mit denen man anzeigen konnte, ob man nach oben oder nach unten wollte und, so vermutete er, in welches Stockwerk.

Sie fuhren bis zum Erdgeschoß, und dann noch tiefer. Sie erreichten das unterste Stockwerk, tief unter der Erde, und Guy führte sie von der Plattform herunter. Sie kamen an einer riesigen Winde vorbei, an einem großen Rad waren vier Pferde angebunden, die, wie Arutha vermutete, den Aufzug antrieben. Alles war ausgesprochen beeindruckend, die großen Zungen und die Räder mit Rillen, die Seile und die Zugvorrichtungen. Doch Guy beachtete die Pferde und ihre Führer nicht, er ging einfach an ihnen vorbei. Er zeigte auf eine große, verbarrikadierte Tür. »Das ist ein geheimer Gang, durch den man hinausgelangen kann. Wir halten ihn verschlossen, weil es sonst hier unten dauernd Durchzug gibt, und das muß vermieden werden.« Gegenüber dieser Tür gab es eine weitere. Guy öffnete sie und führte die Gruppe in einen natürlichen Tunnel. Hinter der Tür nahm er sich eine seltsam aussehende Laterne, die schwächer leuchtete als erwartet. Guy erklärte: »Diese Laterne funktioniert mit Alchemie, ich weiß nicht genau wie, aber sie spendet Licht. Wir wagen es nicht, normale Öllampen oder Fackeln zu benutzen. Ihr werdet noch sehen, weshalb.«

Jimmy hatte die Wände untersucht und eine weiße, flockige und wachsartige Masse abgekratzt. Er rieb sie zwischen den Fingern und roch daran. »Aha«, meinte er und schnitt eine Grimasse. »Naphtha.«

»Ja.« Guy blickte Arutha an. »Ein helles Köpfchen.«

»Das kann man wohl sagen. Woher hast du das gewußt?«

»Erinnert Ihr Euch nicht mehr an die Brücke südlich von Sarth im letzten Jahr? Die ich angesteckt habe, damit Murad und die Schwarzen Kämpfer sie nicht überqueren konnten? Da habe ich ein Destillat aus Naphtha benutzt.«

»Kommt«, sagte Guy und führte sie durch die nächste Tür.

Der Geruch von Teer drang ihnen in die Nase, als sie die Kammer betraten. Seltsame große Eimer hingen an Ketten herab. Ein Dutzend Männer mit freiem Oberkörper war damit beschäftigt, die Eimer in ein riesiges Becken mit einer schwarzen Flüssigkeit zu lavieren. In der ganzen Höhle brannten diese seltsamen Laternen, trotzdem lag der größte Teil des Raums in Dunkelheit. »Der ganze Berg ist mit Höhlen durchzogen, und in den meisten findet man dieses Zeug. Unter ihm muß sich eine natürliche Quelle von Naphtha befinden. Wir müssen es ständig abschöpfen, sonst steigt es durch die Risse im Gestein bis hinauf in die Keller der Stadt. Würden wir diese Arbeit unterbrechen, wäre das Zeug innerhalb weniger Tage nach oben durchgesickert. Doch da die Armengaren es seit Jahren abschöpfen, besteht keine Gefahr.«

»Jetzt kann ich verstehen, warum Ihr hier kein Feuer riskieren wollt«, meinte Locklear, dem man die Bewunderung ansehen konnte.

»Mit Feuern kommen wir wohl zurecht. Es hat schon Dutzende gegeben, erst vor kurzen noch, im letzten Jahr. Doch wir, oder besser die Armengaren, haben eine Verwendungsmöglichkeit für dieses Zeug entdeckt, die wir im Königreich nicht kennen.« Er brachte sie in den nächsten Raum, wo seltsame spiralförmige Rohre zwischen Bottichen verlegt waren. »Hier destillieren wir und mischen Substanzen. Ich verstehe kaum den zehnten Teil davon, doch der Alchemist kann es erklären. Sie produzieren alle möglichen Sachen aus diesem Naphtha, selbst eigentümliche Salben, die verhindern, daß Wunden eitern. Doch das bedeutendste, was sie herausgefunden haben, ist das Geheimnis des Queganischen Feuers.«

»Queganisches Feuer!« platzte Arutha heraus.

»Sie nennen es anders, doch es ist das gleiche. Die Wände sind aus Kalkstein, und mit Kalksteinstaub kann man aus Naphtha Queganisches Feueröl herstellen. Wenn man das mit einem Katapult losschießt und es zum Brennen bringt, kann man es selbst mit Wasser nicht mehr löschen. Aus diesem Grund sind wir so vorsichtig.« Er sah Locklear an. »Die Dämpfe sind sehr schwer und sinken zu Boden, doch wenn sie mit viel Luft vermischt werden, dann genügt ein Funke, und die Dämpfe explodieren.« Er zeigte weiter in die Höhle hinein, wo eine riesige Menge Holzfässer aufgestapelt war. »Vor zehn Jahren gab es diese Vorratshöhle noch nicht. Wenn ein Faß leer ist, wird es neu gefüllt, oder es kommt Wasser hinein, bis es wieder gebraucht wird. Irgendein Dummkopf ließ drei Fässer leer herumstehen, und irgendwie gab es einen Funken und ... Es genügt schon die kleine Menge, die in das Holz einzieht und wieder ausdünstet, um eine gewaltige Explosion auszulösen. Deshalb halten wir die Türen geschlossen. Der Wind aus den Bergen, der durch den Gang zieht, kann die Dämpfe in allen Höhlen hier verteilen. Und wenn das alles auf einmal in die Luft ginge ...« Er überließ es ihrer Phantasie, sich das Bild auszumalen. »Ich lasse die Armengaren das Zeug seit zwei Jahren herstellen. Und wenn Murmandamus kommt, bereiten wir ihm einen heißen Empfang.«

»Wie viele Fässer sind es?« fragte Arutha.

»Über fünfundzwanzigtausend.«

Arutha war verblüfft. Als er Amos kennengelernt hatte, waren an Bord seines Schiffes zweihundert Fässer gewesen. Davon hatten die Tsurani, die das Schiff in Brand gesetzt hatten, nichts gewußt. Das Schiff war in die Luft gegangen, und die Flammen waren Hunderte von Fuß in die Höhe geschlagen, hatten das Schiff innerhalb eines Augenblicks eingehüllt und es binnen weniger Minuten niedergebrannt. Die Feuersäule war meilenweit die Küste hinauf zu sehen gewesen. Hätten die Tsurani nicht längst schon die halbe Stadt niedergebrannt, wäre Crydee durch dieses Feuer verwüstet worden. »Das ist genug ...«

»Um die ganze Stadt in Brand zu setzen«, beendete Guy den Satz.

»Warum so viel?« fragte Jimmy.

»Eins müßt ihr verstehen, ihr alle. Die Armengaren haben noch nie daran gedacht, diesen Ort zu verlassen. Ihrer Meinung nach würden sie an keinem anderen Platz der Welt eine Zuflucht finden. Sie sind in den Norden gekommen, weil sie vor dem Königreich fliehen mußten, deshalb glauben sie, daß sie nicht nach Süden zurück können. Auf allen anderen Seiten haben sie nur Feinde. Sollte es also zum Schlimmsten kommen, brennen sie diese Stadt eher nieder, als daß sie sie von ihm erobern lassen. Ich habe noch einen anderen Plan ausgearbeitet, auch bei ihm könnte sich viel Feuer als sehr nützlich erweisen.«

Er schlenderte zurück in den Gang, der zum Aufzug führte. Die anderen folgten ihm.

Martin saß auf dem Boden gegen einen Baum gelehnt. Er küßte Brianas Haar, die sich noch enger an ihn schmiegte. Sie starrte irgendwo ins Leere. Vor ihnen wand sich ein kleiner Bach durch den Wald, der ihnen kühle Schatten bot. Sie hatten ihre Patrouille für ein Mittagsmahl unterbrochen. Die Bauern der Gegend hatten sie mit Essen versorgt. Martin und sie hatten sich von den anderen fortgeschlichen, um ein wenig Zeit zu zweit zu verbringen. Hier im Wald fühlte sich Martin wohler, als er sich seit Monaten gefühlt hatte, und dennoch plagten ihn Sorgen. Sie hatten sich unter den Bäumen geliebt, und genossen jetzt einfach nur die Gegenwart des anderen. Trotzdem fehlte Martin etwas. Er flüsterte ihr ins Ohr: »Bree, ich wünschte, es könnte immer so sein.«

Sie seufzte und zuckte leicht zusammen. »Ich auch, Martin. Du bist ein Mann wie ... ich noch keinen gekannt habe. Ich glaube, mehr würde ich mir gar nicht wünschen.«

»Wenn das alles zu Ende ist -«

Sie unterbrach ihn. »Wenn es jemals zu Ende ist, dann können wir über diese Dinge reden. Komm, wir müssen zurück.« Sie zog sich rasch an, und Martin bewunderte sie. Sie hatte nichts von dieser zarten Schönheit der Frauen, die er daheim kennengelernt hatte. Die Haut ihres Gesichts war zäh wie Leder, und ihr Antlitz wurde nur durch die weiblichen Züge abgemildert. In keiner Weise war sie eine Schönheit, doch sie war bemerkenswert, und das Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen, das Martin in ihr spürte, fesselten ihn; sie war phantastisch, ja wunderschön. In jeder Hinsicht hatte er sich von ihr einnehmen lassen.

Er hatte sich fertig angekleidet, und bevor sie sich davonmachen konnte, faßte er sie am Arm, drehte sie herum und zog sie an sich. Mit tiefer Leidenschaft küßte er sie, dann sagte er: »Ich brauche nicht darüber zu sprechen, denn du weißt, was ich will. Ich habe so lange auf dich gewartet.«

Sie sah ihm in die dunklen Augen. Ihre Hand berührte sein Gesicht, »Und ich auf dich.« Sie küßte ihn sanft. »Wir müssen zurück.«

Er ließ sieh von ihr zurück ins Dorf führen. Zwei Wächter kamen auf sie zu, als sie aus dem Wald traten. »Kommandantin, wir wollten dich schon holen.«

Sie blickte den zweiten Mann an, der nicht zu ihrer Truppe gehörte. »Was gibt es?«

»Der Protektor hat Befehl erlassen, daß alle Patrouillen zu den Steadings und Kraals hinausreiten und anordnen sollen, daß sie geräumt werden. Jedermann soll sich sofort zur Stadt begeben. Murmandamus' Armee ist im Anmarsch. In einer Woche wird sie vor den Mauern der Stadt stehen.«

Briana sagte: »Befehl zum Aufbruch. Wir werden die Patrouille aufteilen. Grenlyn, du nimmst die Hälfte und brichst zu den Tieflandkraals und zu den Steadings am Fluß auf. Wenn du das erledigt hast, reitest du so schnell wie möglich zurück. Der Protektor wird jeden Kundschafter brauchen können. Und jetzt los.« Sie sah Martin an. »Komm, wir haben viel zu tun.«